Wenn Worte zur Waffe werden
Carsten Stahl rüttelt Wirtschaftsschülerinnen und -schüler auf
Vollbesetzte Stadthalle, gespannte Gesichter: In Bad Neustadt stand ein Vormittag ganz im Zeichen des Kampfes gegen Mobbing. Die Wirtschaftsschule hatte Deutschlands bekanntesten Anti-Mobbing-Trainer Carsten Stahl eingeladen, um die Schülerinnen und Schüler für das Thema zu sensibilisieren. Am Nachmittag und am Abend wurden zudem Veranstaltungen für Lehrkräfte und Eltern angeboten, wobei das Interesse der Eltern leider gering ausfiel.
Zu Beginn begrüßte der stellvertretende Schulleiter Peter Schmidt die Anwesenden und betonte, wie wichtig das Thema Mobbing ist, da es allgegenwärtig und oft unterschätzt wird. Auch Bürgermeister Michael Werner und der stellvertretende Landrat Bruno Altrichter lobten die Initiative und dankten den Unterstützerinnen und Unterstützern, die das Event ermöglichten: Neben der Stadt Bad Neustadt und dem Landratsamt Rhön-Grabfeld trugen insbesondere die Sparkasse Bad Neustadt, die VR-Bank Main-Rhön sowie die NES-Allianz maßgeblich zum Gelingen der Veranstaltung bei.
Carsten Stahl ist kein Pädagoge im klassischen Sinn, sondern als ehemaliger TV-Darsteller eher ein Mann der klaren Worte. Seine Sprache ist direkt, manchmal konfrontativ, zeitweise laut, aber immer eindringlich: „Jede Schule, die behauptet, bei uns gibt es kein Mobbing, lügt!“ Denn Mobbing beginnt nicht erst mit Schlägen, sondern bereits mit Worten.
Um den Jugendlichen die Wirkung von Sprache bewusst zu machen, ließ Stahl sie selbst erleben, wie schnell verletzende Worte zur Normalität werden. Zu Beginn holte er eine Schülerin auf die Bühne und forderte die jüngeren Klassen auf, die schlimmsten Schimpfwörter zu nennen, die sie kennen. Die Liste wurde schnell zu einem Inventar deutscher Alltagsgrausamkeiten. Die Jugendlichen lachten, klatschten und feierten die Worte – bis Stahl sie aufrüttelte: „Ich weiß nicht, was schlimmer ist: dass ihr diese Worte kennt – oder dass ihr darüber lacht.“ So zeigte er, wie Gruppendruck und Gruppendynamik wirken können und wie aus Spaß schnell bitterer Ernst wird.
Anschließend berichtete Stahl von seinem Sohn, der nach zwei Tagen Grundschule nach Hause kam und plötzlich Worte benutzte, die er nie zuvor gesagt hatte. Im weiteren Verlauf ging er auf das Schicksal eines Zehnjährigen ein, der in seiner Klasse jeden Tag als „fettes Schwein“ beschimpft wurde, den niemand verteidigte und den alle allein ließen – und es stellte sich heraus, dass er selbst dieser Junge war: „Ich wurde beleidigt, geschubst, geschlagen, erniedrigt und ausgelacht. Die anderen sahen weg – aus Angst, selbst Opfer zu werden.“
Danach stellte Stahl den Jugendlichen drei Fragen: „Wer hier im Raum hat schon einmal andere beleidigt, geschlagen oder getreten?“, „Wer hat schon einmal weggesehen und nichts unternommen?“ und „Wer hat schon einmal durch Mobbing an Selbstmord gedacht?“. Damit wollte er die Schülerinnen und Schüler nicht nur zum Zuhören bewegen, sondern dazu, ihr eigenes Verhalten kritisch zu hinterfragen: „Wenn ihr heute rausgeht, seid ihr nicht mehr dieselben wie vorher.“ Vielleicht stimmt das auch, denn zumindest für diesen Nachmittag lag etwas in der Luft, das sich genauso anfühlte.
Marcel Proksch